Raus aus dem Schlüssellochblick

Mit der Klasse 7a drei Tage am Haus Volkersberg

„Im Prinzip müssten Schulen Orte sein, in denen Kinder alles erleben können, was unsere Gesellschaft, unsere Welt, zu bieten hat“

– Aladin El-Mafaalani, Soziologe

Die Welt wird größer, wenn wir ihre äußere durch innere Weite eintauschen: Eine Fahrt ist manchmal mehr, aber auch manchmal weniger mit der Einsicht verbunden, dass in dem, was Schule sein will, ein „Balkonien“ mit Blick vom Klassenzimmer nach draußen dann doch nicht reicht. Der bedeutungsschweren Welt der gelochten DIN A4-Blätter täte es gut, sich öfter und nachhaltiger daran zu erinnern, dass sie dann doch nur klein, eng und grau ist und und an ihr nur mäßig viele prägende Erfahrungen gemacht werden können. Die Zeit mit Rucksack und gepackten Koffern ist gemeinhin die beste Lehrmeisterin, wenn es darum geht, die eigenen Werte infrage zu stellen, Fremdes kennenzulernen und daran zu wachsen.

Das Ziel unserer Fahrt ist die Jugendbildungsstätte Volkersberg, deren Name von der Höhenbeschreibung der Herberge her zwar etwas übertreibt, aber sonst vieles an Versprechungen einlöst: Es gibt einen Lagerfeuerplatz, ein Zirkuszelt, einen Raum mit Stuhlkreisen, eine Turnhalle, einen fahrbaren Pizzaofen und einen Fußballplatz, einen Tischkicker und einen Billardtisch, eine Sporthalle und Spielesammlungen mit den „Werwölfen vom Düsterwald“. Daneben noch gute Verpflegung, verschiedenfarbige Edding-Stifte, Dixit-Karten, Miniatur-Schlümpfe, Murmeln, Rohre, mit Zahlen beschriftete Karten, Kissen, frisch überzogene Betten, abschließbare Duschen, einen günstigen Getränkeautomaten, Musik aus dem Bluetooth-Lautsprecher und ein Plakat, auf dem „Herzlich willkommen, liebe 7a“ steht. Alles in allem: Es ist nicht nur schön dort, sondern auch einiges geboten.

Hier finden für die Klasse 7a die Tage der Orientierung statt, bei denen viele dieser Materialien Verwendung finden. Angelika Martin übernahm die Organisation der Fahrt. Die Planung und Durchführung lag bei den TeamerInnen Anja und Moritz, die dort im zwischenmenschlich positivsten Sinn keine LehrerInnen sein mussten. Nach einer spielerischen Begrüßung konnten die SchülerInnen wählen, wie sie die nächsten Tage verbringen wollten: Draußen oder drinnen, in der Klein- oder Großgruppe, mit Action oder in Ruhe. An der Stellwand daneben hing ein Blatt, auf dem die SchülerInnen mit Edding-Stiften Songwünsche schreiben konnten.

Als übergeordnete Themen für die drei Tage konnten sich die SchülerInnen zwischen „Liebe, Partnerschaft und Sexualität“, „Vielfalt und Toleranz“, „Gemeinschaft“, „Zukunft und ich“ oder „Konsum und Abhängigkeit“ entscheiden. Die Klasse hat schließlich in einer Abstimmung letzteres gewählt.
Die SchülerInnen mussten daraufhin zum Beispiel kurze, in Hälften zerteilte Plastikrohrstücke so anordnen, dass eine Murmel eine durchaus beachtliche Strecke zurücklegen kann, die über zwei Treppen entlangführte. Dabei ging es nicht um die Leistung und Ideen Einzelner, sondern darum, wie die Klasse es schafft, die Vielfalt an Vorschlägen zu moderieren und zu koordinieren. Nach einigen Versuchen, misslungenen Ideen, guten Umsetzungen wie ins System eingebauten „Bremsen“ und der Motivation derjenigen, die dann frühzeitig aufgeben wollten, ist die Kugel schließlich ins Ziel gegangen. In einer anschließenden Reflexion konnte die Klasse die Qualität der Zusammenarbeit in der Gruppe besprechen.

In einer weiteren Aufgabe sollten die SchülerInnen Flugobjekte basteln, von denen diejenigen honoriert wurden, die am längsten in der Luft blieben und die, die am besten aussahen. Des Weiteren wurden die SchülerInnen später auch durch das weitläufige Gebäude geschickt, um mit Nummern beschriftete Blätter zu finden und anschließend Aufgaben zu lösen: Diese Aufgaben zeigen nicht, wie gut ein Einzelner gelernt hat, sondern wie eine Gruppe als Team funktioniert. Und die Jugendbildungsstätte liefert beste Voraussetzungen dafür, dass Teamarbeit gelingt, nämlich einen fairen und wertschätzenden Umgang. Auch Zuhören sei ein wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden Teams, wie die Klasse später in einer Reflexion formuliert hat.

Diese Kompetenzen benötigt man – die Berufstätigen vermuten es – insbesondere in einer Arbeitswelt, die für den Einzelnen an Geschwindigkeit, Menge und Intensität Fahrt aufnimmt. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung werden Berufe komplexer und fordernder: Quer durch die Arbeitswelt haben viele Menschen das Gefühl, dass es nicht die Maschinen und Geräte sind, die diese Steigerungsleistung vollbringen. Deswegen sind Arbeitgeber immer mehr auf die Kompetenzen angewiesen, die die Schüler am Volkersberg thematisiert haben; die Tage haben gezeigt, welche Bedingungen herrschen müssen, damit hier Zusammenarbeit gelingt. Das ist nicht selbstverständlich.

Die Schulzeit ist im besten Fall die Zeit im Leben, in der man die Welt als offen, antwortend und zur Gestaltung einladend erleben kann. Im Prinzip müssten Schulen deswegen – wie El-Mafaalani sagt – Orte sein, in denen Kinder und Jugendliche auch das als wichtige Ressource erleben können. Und eine Fahrt ist zumindest die Einsicht, dass das zuhause im Klassenzimmer nicht immer der Fall ist.

Marcel Proksch

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