Zwischen den Zeilen
Fünfzig Schülerinnen und Schüler zwischen Thomas Gottschalk, @itsjessamess und Lola Weippert
„Literatur ist das Gegengift zur Gefühllosigkeit. Autorinnen und Autoren können keine Kriege beenden. Wir können den Hass nicht verschwinden lassen. Aber wir können die Flamme des Friedens, der Gemeinschaftlichkeit und des Mitgefühls weiter lodern lassen. Die Kraft der Literatur liegt darin, dass sie uns daran erinnert, zu was wir fähig sind: nicht nur zu Zerstörung und Feindschaft, sondern auch zu Schönheit, Solidarität, Schwesterlichkeit und Liebe.“
– Elif Shafak, Rede auf der Eröffnungskonferenz der Frankfurter Buchmesse
Was erwartet uns wohl? Diese Frage stand in den Augen der Schülerinnen und Schüler geschrieben, als sie an einem nebelverhangenen Herbstmorgen in der Aula standen. Die Spannung war greifbar, während sie sich für die bevorstehende Fahrt zur Frankfurter Buchmesse sammelten. Die Antworten auf ihre Frage aber so vielfältig wie vage – ein leises Murmeln hier, ein Achselzucken dort. Vielleicht lag es daran, dass gerade das Unbekannte seinen ganz besonderen Reiz hat, oder dass die schönsten Momente oft die sind, die man nicht vorhersehen kann.
Um 8:30 Uhr setzte sich die Gruppe schließlich in Bewegung. Mit schweren Rucksäcken und verschlafenen Gesichtern fanden die Schülerinnen und Schüler ihre Plätze im am Kaufland stehenden Reisebus. Der Fahrer begrüßte sie mit sanfter Stimme und mahnte zum Anschnallen, während der Motor bereits sein morgendliches Brummen von sich gab. Aus den Lautsprechern des Busses erklang wenige Minuten später leise Bayern 1 mit den zeitlosen Zeilen von Scott McKenzies „San Francisco“ – eine Hymne, die auch heute nichts von ihrer Bedeutung verloren hat:
„All across the nation, such a strange vibration
People in motion
There’s a whole generation with a new explanation
People in motion, people in motion“– Scott McKenzie, San Francisco (Be Sure to Wear Flowers in Your Hair)
Vielleicht passen diese Songzeilen gut zu unserer Fahrt: Die „strange vibration“, von der McKenzie singt, lässt sich in der heutigen Zeit deutlich spüren – nur anders als damals. Wo einst die Hippiebewegung für Frieden und Liebe auf die Straßen ging, kämpft nun eine jüngere Generation für soziale Gerechtigkeit und Inklusion. Die gesellschaftlichen Normen verschieben sich spürbar, was sich besonders in den Debatten um Sprache und Machtverhältnisse zeigt. Diese Veränderung spaltet die Gesellschaft: Während die Konservativen darin eine Bedrohung traditioneller Werte sehen, erkennen andere darin die Chance auf eine gerechtere Zukunft.
Dieses Spannungsfeld ist besonders in den Diskursen der Buchmesse spürbar, wo selbst Thomas Gottschalk sich über die vermeintliche Cancel Culture beklagte – und dennoch oder vielleicht deswegen von seiner Generation weiterhin wie ein Idol verehrt wird. Die „people in motion“ von heute setzen sich für einen anderen, aber nicht weniger bedeutsamen progressiven gesellschaftlichen Wandel ein als ihre Vorgänger in den 1960er Jahren.
Kennen Sie Love Island?
Inmitten dieses kulturellen Wandels steuerte unser Busfahrer mit chirurgischer Präzision durch das Verkehrschaos der Buchmesse. Seine Miene verriet keine Frustration über die verstopften Straßen – stattdessen schien er mit der urbanen Wildnis einen stillen Frieden geschlossen zu haben. Als der Bus endlich vor der Jahrhunderthalle zum Stehen kam, entlud sich die aufgestaute Energie der Schülerinnen und Schüler in einem Sturm aus quietschenden Sitzen und reißenden Reißverschlüssen.
Frankfurt empfing uns mit offenen Armen und der pulsierenden Energie einer Weltmetropole, die man im Kontrast zur konservativ-provinziellen Enge unserer beschaulichen fränkischen Heimat besonders intensiv spüren kann. Kaum waren wir in der U-Bahn-Station am Messegelände angekommen, um in Richtung Innenstadt zu fahren, umfing uns das charakteristische Großstadttreiben: ein Strom von Menschen, eilige Schritte, gedämpfte Gespräche in allen Sprachen.
Während einige Schülerinnen und Schüler aus unserer Gruppe noch an den Fahrkartenautomaten ihre RMV-Tickets lösten, durchbrach Lenis aufgeregte Stimme die geschäftige Atmosphäre: „Kennen Sie Love Island?“. Triumphierend präsentierte sie ihr Smartphone, auf dem ein frisch geschossenes Selfie mit TV-Moderatorin Lola Weippert zu sehen war. „Direkt vor der Buchmesse!”, strahlte sie, während zwei glückliche Gesichter einem vom Bildschirm aus anlächelten.
Shopping und Pommes rot-weiß
Die U4 brachte uns zur Konstablerwache, dem pulsierenden Knotenpunkt der Stadt. Von dort tauchten wir ein in den urbanen Rhythmus Frankfurts. Mit einer Mischung aus Neugier und erstaunlicher Selbstverständlichkeit navigierte unsere Schülerinnen- und Schülergruppe durch die Menschenmenge zur Zeil, gleichzeitig Einkaufsstraße und Lebensader Frankfurts, in der sich notorisch gestresste Businesspeople, geschminkte It-Girls, tiefenentspannte Flaneure, genervte Einheimische und überforderte Touristen begegnen. Hier offenbarte sich den Rhönerinnen und Rhönern der ihnen ungewohnte wahre Herzschlag der Mainmetropole.
Aus den Geschäften und Shopping-Malls dröhnten basslastige Songs wie Rihannas „Want you to make me feel like I’m the only girl in the world“, während die Plakatwände ganz unironisch mit Peter Kraus‘ „Rockin’ 85 – Das große Geburtstagskonzert“ volltapeziert waren. Es war so, als hätte auch hier die Zeit zwei nebeneinander herlaufende Dimensionen, in denen sich Vergangenes und Geschehendes eigenartig vermischen. Alte Zeiten wollen eben niemals so ganz enden.
Die Schülerinnen und Schüler strömten in alle Richtungen, als wären sie Teil eines riesigen Ameisenhaufens, der sich über die Konsumtempel der Stadt ergoss. Einige suchten zum Beispiel nach dem neuesten Fußballequipment bei 11teamsports, als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben als den perfekten Schuh für das nächste Kreisliga-Spiel. Andere zog es in die Welt der Bücher bei Hugendubel, wo sie zwischen den Regalen umherirrten, als könnten sie dort die Antworten auf ihre unausgesprochenen Lebensfragen finden. Technikbegeisterte pilgerten zum Apple Store, um die neuesten iPhones zu bestaunen, wohlwissend, dass die zwanzig Euro in ihren Taschen nicht einmal für eine Hülle reichen würden. Doch Träume kosten ja bekanntlich nichts.
Die Modewelt übte eine besondere Anziehungskraft aus, wie ein Magnet, der jeden noch so kleinen Rest von Individualität gnadenlos an sich zog. Zara und Sephora waren die Tempel des guten Geschmacks – oder zumindest dessen, was man ihnen als solchen verkauft hatte. Bald sah man Schülerinnen mit Einkaufstüten von New Yorker, Primark und Hello Kitty durch die Straßen flanieren, als wären sie lebende Litfaßsäulen für den nächsten Sale. Eine von ihnen präsentierte stolz eine neu erworbene Kette von Pandora – ein glänzendes Symbol dafür, dass man sich Schönheit eben doch kaufen kann. Und man hatte fast keine andere Wahl, als das und alles andere schön finden zu müssen.
In der nachfolgenden Reflexion notierte ein Schüler trocken: „Ramschläden und Fressen“. Treffender hätte man es kaum zusammenfassen können. Eine Schülerin kehrte mit übriggebliebenen Pizzastücken zurück; in der L’Osteria hatte sie festgestellt, dass selbst zu dritt eine ganze Pizza nicht zu schaffen war – ein weiteres Beispiel dafür, dass Augen oft größer sind als der Magen. Andere entschieden sich für den schnellen Hunger bei McDonald’s – weil es eben immer noch nichts gibt, was so sehr nach Kindheit schmeckt wie eine Tüte Pommes mit Ketchup. Für die Naschkatzen unter ihnen war die Schokolateria ein Paradies süßer Versuchungen – oder besser gesagt: ein Ort, an dem man sich für einen Moment lang einreden konnte, dass Schokolade tatsächlich alle Probleme löst. Doch am Ende blieb das große Glück dann doch aus und nur das Gefühl zurück, dass alles immer irgendwie gleich ist: Alte Zeiten wollen nicht enden, neue beginnen nie wirklich – und dazwischen steht man mit einer Pandora-Kette um den Hals da und fragt sich, ob das jetzt wirklich alles ist.
Frankfurter Buchmesse
Um 13:45 Uhr versammelten sich die Schülerinnen und Schüler an der Konstablerwache. Die herbstliche Nachmittagssonne tauchte den Platz in warmes Licht, während sich der typische Großstadtduft mit neuen Parfums der Schülerinnen und Schülern in der Luft vermischte. Die U-Bahn, immerhin in Frankfurt ein Musterbeispiel deutscher Pünktlichkeit, beförderte die Gruppe durch die unterirdischen Tunnel der Stadt zurück zum Reisebus am Messegelände. Kaum waren die Taschen verstaut, setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung – weg vom Bus und hinein ins quirlige Getümmel.
Vor dem Eingang der Messe machten wir einen kurzen Zwischenstopp, um das hier abgedruckte Erinnerungsfoto zu schießen. Durch die breiten Türen der Messehalle ergoss sich schließlich ein nicht enden wollender Strom an Besucherinnen und Besuchern. Nicht lange dauerte es, bis die Schülerinnen und Schüler von der pulsierenden Energie der Buchmesse erfasst wurden, als sie die Sicherheitskontrollen passierten. Die Gesichter aller spiegelten die Überwältigung wider, die sie von der Rhön nur schwer kannten: Die schiere Fülle an Ausstellern, das Gewirr der Stimmen und die endlosen Reihen von Büchern erstaunten viele Schülerinnen und Schüler und besonders solche, die derartige Messen bisher noch nicht kannten.
Zwischen den imposanten Messehallen drängten sich Literaturbegeisterte durch ein Meer aus bunten Buchcovern und leuchtenden Bannern. Ein besonders markantes Plakat verkündete selbstbewusst: „Read!ng is making noise for the silent”. Diese Erkenntnis war wie gemacht für all die eher Introvertierten und Sensiblen, die sich hier in dieser Welt der Buchstaben und schlauen Worte sicher und aufgehoben fühlen. Die Buchmesse glich einem literarischen Labyrinth, in dem sich Geschichten und Genres wie in einem Mosaik vereinen. „Me? Obsessed? With books? Yes!“ leuchtete zum Beispiel in gewaltigen Buchstaben über dem Thalia-Stand. Dieses Motto beschrieb den Vibe der Messe perfekt.
Zauberhafte Kulissen und glänzende Augen Jugendlicher
Die Schülerinnen und Schüler eilten zum LYX-Stand und wurden mit seiner romantischen Inszenierung verzaubert: Ein Meer aus rosa Tönen und üppigen Blumenarrangements verwandelte den Stand in eine zauberhafte Kulisse, in der eine perfekt kuratierte Social-Media-Präsenz scheinbar zum Leben erweckt wurde. Für die meist jungen Leserinnen erwies sich der Besuch als absolutes Highlight. Mit leuchtenden Augen standen sie vor den schier endlosen Regalen voller Romance-Bücher und nahmen dafür auch lange Wartezeiten geduldig in Kauf. „Herr Proksch!“, rief eine Svhülerin begeistert, „wir haben nicht nur vier Bücher und eine Sonderausgabe erstanden, sondern sogar eine echte Autorin kennengelernt!“ Doch es gab auch einen kleinen Dämpfer: Eine der Schülerinnen hatte kein Ticket für den beliebten LYX-Stand ergattern können – eine kleine Katastrophe für sie. Aber sie bewies Eigeninitiative: Kurzerhand sprach sie eine Standmitarbeiterin an und fragte höflich nach einem Buch. Ihre Courage wurde belohnt – am Ende hielt auch sie ihre Neuerwerbung in den Händen.
Nur wenige Schritte weiter warteten bereits zahlreiche Fans geduldig in einer sich windenden Schlange. Ihr Ziel: @KriegundFreitag, der beliebte Social-Media-Cartoonist, der mit seinen minimalistischen Strichmännchen-Zeichnungen Millionen Menschen in den sozialen Medien begeistert. Die Wartenden hielten gespannt ihre Exemplare von „Gesammelte Gekrakel 2017-2024“ in den Händen, hoffend auf eine persönliche Widmung und vielleicht sogar eine kleine Skizze des Künstlers. Eine Schülerin traf auf den Gängen die #BookTok-Influencerin @itsjessamess, fragte sie nach einem Selfie. Für zusätzliche Aufregung sorgte ein spontanes Aufeinandertreffen zwischen einer jungen Schülerin und der bekannten #BookTok-Influencerin @itsjessamess. Die Begegnung wurde sofort digital verewigt: Ein schnelles Selfie, strahlende Gesichter, und kurz darauf war der Moment bereits als Reel auf Instagram zu bewundern.
Fragen, auf die man nicht sofort eine Antwort hat
Beim weiteren Erkunden der Messehallen entdeckten die Jugendlichen eine Vielfalt an Neuerscheinungen. Besonders eine Ankündigung zog viele Blicke auf sich: Angela Merkels mit Spannung erwartete Autobiografie „Freiheit“, die am 26. November bei Kiepenheuer & Witsch erscheinen sollte. Gleich daneben prangte der neue Mittelalter-Roman „Helden“ von Frank Schätzing, der mit seiner epischen Erzählweise und einem Hauch Popkultur die Leser in das Jahr 1263 entführte. Zwischen all den Neuerscheinungen stach Sybille Bergs Gedichtband „Try Praying. Gedichte gegen den Weltuntergang“ durch seine kompromisslose Direktheit hervor, die man von Merkels Buch zwar erhofft, aber nicht erwartet.
Die Kinderbuchabteilung erwies sich als wahre Fundgrube. Zwischen den Regalen fanden sich zahlreiche Schätze wie der mitreißende Titel „Der Löwe in dir“ von Rachel Bright und Jim Field, der Kindern auf spielerische Weise Mut und Selbstvertrauen vermittelt. Auch „Gecko und das Glück des Gebens“ verzauberte mit seiner herzerwärmenden Geschichte über Großzügigkeit und Mitgefühl. Einen etwas andere Tonalität schlug Hana Acabado mit ihrem Bilderbuch „Meine Mama ist ein Kunstwerk“ an. Das farbenprächtig illustrierte Werk feiert die Vielfalt zeitgenössischer Mutterbilder und erzählt warmherzig von einer tätowierten Mama, deren Körperkunst ihre Lebensgeschichte erzählt.
Am „Was ist Was“-Stand präsentierte sich der aktuelle Band „Demokratie“ von Andrea Weller-Essers, ein Buch mit dem subtilen Untertitel „Deine Stimme zählt“, das den Achtklässlerinnen und Achtklässlern wahrscheinlich vermittelte, dass sie irgendwann mal herausbekommen müssen, wie Demokratie genau funktioniert, bevor sie wählen gehen. Nebenan verteilte das Anne Frank Haus Frankfurt Exemplare des Buches „Woran denkst du, wenn du an Israel denkst? Woran denkst du, wenn du an Deutschland denkst?“, was vielleicht die eine oder andere unangenehme und herausfordernde Frage aufwarf. Aber auch das gehört zur Buchmesse dazu: Fragen, auf die man nicht unbedingt sofort eine Antwort hat.
Bedrohung unserer demokratischen Grundordnung
Ein besonderer Anziehungspunkt war der Stand der unabhängigen Verlage, an dem ein hochaktuelles Panel zur Thematik rechtsextremer Netzwerke in Gesellschaft und staatlichen Institutionen stattfand. Die Diskussionsrunde mit Mohamed Amajahin, Said Etris Hashemi und der renommierten Extremismus-Expertin Heike Kleffner bot dem Publikum Analysen und Einblicke. Die Debatte setzte sich inhaltlich am Stand des Berliner Recherche-Netzwerks CORRECTIV fort. Dort informierten Journalisten über ihre Recherchen zum „AfD-Komplex“ und diskutierten mit Besucherinnen und Besuchern über die wachsenden Bedrohungen für die demokratische Grundordnung durch extremistische Strömungen.
Für Abwechslung sorgte „333 Origami“ – ein Werk, das Kunstbegeisterten nicht nur filigrane Faltanleitungen versprach, sondern auch die Aussicht auf fliegende Objekte, die garantiert jede Unterrichtsstunde beleben würden. Während einige Schülerinnen und Schüler noch friedlich Papierkunst studierten, zog es andere zu deutlich düstereren Gefilden: „Lust auf Mord?“ lockte mit der Aussicht auf heimische Krimi-Spannung, bei der jeder selbst in die Rolle des Ermittlers oder der Ermittlerin schlüpfen konnte.
Besonders entspannt präsentierte sich der Stand des Verlags Pola. Mit seinem Slogan „Ready to reclaim life“ traf er nämlich genau den Nerv der Zeit. In einer Gesellschaft, in der die Work-Life-Balance zunehmend zum zentralen Lebensthema wird, verfängt das Versprechen von „weniger Arbeit, mehr Leben“ fast automatisch bei den Schülerinnen und Schülern. Einen deutlichen Kontrast bot der Stand des Taschen Verlags: Ein opulenter Bildband über Sneaker-Kultur wurde dort als „the most definitive sneaker culture magazine on the planet“ beworben.
Warum noch lernen?
Die Buchmesse wartete darüber hinaus mit prominenten Überraschungsgästen auf, die für Begegnungen sorgten. Für besonderes Aufsehen sorgte zum Beispiel Desiree Nick, die ihr neues Werk „Bockwurst und Champagner“ vorstellte. Sportbegeisterte Schülerinnen und Schüler kamen bei der Autogrammstunde mit Fußball-Nationalspielerin Lena Oberdorf auf ihre Kosten, die geduldig Unterschriften gab und für Fotos posierte. Auch der oben erwähnte Thomas Gottschalk war anwesend und viele in seiner Nähe sahen aus wie verliebte Teenager, die nicht glauben können, dass Fernsehgestalten auch real existieren. Einen regelrechten Besucherandrang löste TV-Moderatorin Lola Weippert aus. Ihr Debütbuch „Sei mutig und dir gehört die Welt“ traf das jugendliche Interesse – und unsere Schülerinnen und Schüler stellten sich für ein zweites Selfie in die lange Reihe. Der Thriller-Autor Sebastian Fitzek präsentierte nebenbei seinen neuesten Bestseller „Das Kalendermädchen“.
Pädagoginnen und Pädagogen wurden vom Stand der humboldt-Ratgeber wie magisch angezogen. Hier entdeckten die Lehrerinnen und Lehrer unter anderem das Buch „Schule backstage“, das sich direkt so las, als wäre es eine Verlängerung des Arbeitstages, den sie ohnehin schon hinter sich hatten. Der wahre Schultrubel spielte sich jedoch an der Stage 4.0 ab. Dort referierte Bildungsinfluencer Bob Blume vor Lehrerinnen und Lehrer, die dort wohl aus pädagogischem Pflichtbewusstsein saßen, mit der durchaus provokanten Frage „Warum noch lernen?“. Diese Überlegung dürfte vielleicht auch in den Köpfen der erschöpften Schülerinnen und Schüler am Ende ihres Messetags kreisen.
Das Gewimmel zwischen den Messeständen glich einem bunten Bienenstock aus Menschen. Besonders die mitgefahrenen Achtklässlerinnen und Achtklässler, die man sonst eher mit Smartphones als mit Büchern verbindet, zeigten sich überraschend enthusiastisch. Mit großen Augen und ausgestreckten Händen sammelten sie Kugelschreiber, Geschenke und Leseproben ein, als wären diese begehrte Sammelkarten – auch wenn die meisten Texte vermutlich ungelesen in ihren Schultaschen verschwinden würden. Zum Schluss standen sie beim Hauschka Verlag: Hier wurden Papier-Kronen mit dem Slogan „Einfach besser lernen“ verteilt. Zwar nicht gerade das hippste Werbegeschenk für Teenager, aber die Kronen fanden bei ihnen reißenden Absatz – denn manchmal ist eben auch bei kritischen Achtklässlerinnen und Achtklässlern die Versuchung eines Gratis-Geschenks größer als das Bedürfnis nach Coolness.
Mir ist kalt und es regnet
Als der Tag sich dem Ende zuneigte, fand sich die Gruppe in der Agora ein, dem weitläufigen Innenhof des Messegeländes. Einige Schülerinnen und Schüler hatten bereits auf Stühlen mit der Aufschrift „Ihr Platz im Herzen der Community“ Platz genommen und ließen die Fülle der Eindrücke des Tages still auf sich wirken. Der aufkommende Nieselregen legte sich wie ein feiner Schleier über den Platz, während die letzten organisatorischen Dinge erledigt wurden – ein schneller Gang zur Toilette hier, das Zusammensuchen persönlicher Gegenstände dort. Die Müdigkeit war nun deutlich spürbar, und in den Gesichtern der Jugendlichen zeichnete sich eine Mischung aus Erschöpfung und erfüllter Zufriedenheit ab. Als eine junge Schülerin fröstelnd ihre Arme um sich schlang und mit leiser Stimme „Mir ist kalt und es regnet“ murmelte, war es wie ein stilles Signal – die Zeit war gekommen, die literarische Welt hinter sich zu lassen und den Heimweg anzutreten.
Heimfahrt
Die Heimfahrt verlief zunächst ereignislos, bis der Busfahrer eine Pause an einer Raststätte einlegen musste. „Mit denen kann man nicht in den Krieg ziehen“, sagte er und grinste, als die halbe Mannschaft in Richtung Toilette stürzte. Nach der ungeplanten Pause folgte das gewohnte Prozedere der Vollzähligkeitskontrolle – ein Durcheinander aus Rufen und Zählen. Der dramatische Höhepunkt war als eine aufgelöste Schülerin verzweifelt an die Bustür klopfte. Ihre schlummernde Freundin hatte den leeren Nachbarplatz übersehen und beinahe wäre die Story eines Horror-B-Movies Wirklichkeit geworden.
Die weitere Fahrt begleiteten die entspannten Klänge von „Stuck in the middle with you“ von Stealers Wheel und anderen Songs aus dem unvermeidlichen Bayern 1-Programm. Um 20:45 Uhr erreichte der Bus Bad Neustadt, wo die Eltern bereits standen, als hätten sie seit langer Zeit nichts anderes getan. Nach kurzen, aber herzlichen Wiedersehensumarmungen löste sich die Reisegruppe auf. Was blieb, waren die erlebten Momente, aber auch die unausgesprochenen Geschichten dieser Frankfurtfahrt: Erlebnisse und Eindrücke, die wie die Geschichten auf der Buchmesse selbst zwischen den Zeilen zu finden sind.
Marcel Proksch